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Sonst gern

      Eine ganze Reihe von Texten über Autos hat Melanie eigentlich für Vicky Tiegelkamps »sabotage« geschrieben . Nun ja, jetzt ist einer einige davon hier ...  

Die hohe Kunst der Auto-Imagination

Vielleicht wäre mein Leben anders verlaufen, wenn meine Eltern sich andere Autos gekauft hätten. Vielleicht würde ich Luxuskleider lieben und hohe Pumps mit brich-dir-die-Hacken-Absätzen, wenn ein schicker BMW oder gar was richtig Teures vor unserer Haustür gestanden hätte. Wer weiß das schon alles.

Ich will ja wirklich niemandem einen Vorwurf machen, und ich bin sicher, meinen Eltern haben ihr Bestes getan, damit aus ihrer Tochter etwas Vernünftiges wird. Das ist nicht ganz gelungen. Und: es lag an den Autos!

Es begann mit einem Ford

Es fing damit an, dass meine Eltern unbedingt mehr Kinder bekommen mussten, als in den normalen deutschen Durchschnittskleinwagen hineinpassen. Natürlich waren die Dinger früher, als ich zur Welt kam, noch größer als heute. Das ändert aber nichts daran, dass meine Eltern sich auch für damalige Verhältnisse große, richtig große Autos zulegen mussten, damit wir alle hineingingen. Was allerdings nicht verhindern konnte, dass sie eines Tages bei einem Ausflug in Bielefeld einfach vergaßen, mich ebenfalls in den Fond zu laden und ich, sechsjährig und nur mit zwei Stoff-Robben im Arm, heulend in der großen weiten Welt stand. Vielleicht hatten sie ja zu diesem Zeitpunkt ihre Fortpflanzungsfreudigkeit bereits bereut. Nun, egal.

Jedenfalls fuhren meine Eltern Ford. Wir kamen immer wieder. Nur wie! Eine bleibende Erinnerung wird sein, dass Autobahnausfahrten für jeden Urlaub zur Krisenregion wurden. Jedes Mal nämlich, so kommt es mir heute vor, wenn wir auf dem Weg in den sonnigen Süden waren, wir uns hinten schon ordentlich gestritten hatten und das an sich glücklich verheiratete Paar vorne anfing, darüber zu diskutieren, wessen Kinder es denn eigentlich seien, jedes Mal dann, wenn wir die Autobahn verlassen wollten, um einen Autoreisezug zu erwischen oder einfach nur eine andere Straße Richtung Meer befahren wollte, blieb die olle Karre stehen. Sie verreckte einfach.

Für gewöhnlich war es Freitag nachmittag. In einem eher südlich gelegenen Land. Von vorbeiziehenden Bauern gab es stets die Antwort, dass die Autowerkstätten frühestens am Montag mittag ihre Tätigkeit wieder aufnehmen würden. Ja, und da standen wir dann.

Nun wollten sich zwar meine Eltern wie in jeder vernünftigen Familie üblich, eines Tages einen neuen Wagen zulegen. Doch was sich wie Weihnachten anfühlte, war eher wie die Kommunion: enttäuschend. Statt des weißen Ford Granada, der sich so ohnmächtig in meine Erinnerung geprägt hat, stand ein weißer Ford Turnier in der Einfahrt. Natürlich gebraucht. Natürlich fast schrottreif.

Auch dieser Wagen schaffte keine Urlaubsreise ohne größere Reparaturen. Damit aber nichts wirklich Schlimmes passierte, fuhr in der Handschuh-Mittelkonsole die kopflose Krippenfigur des Joseph mit, die, obschon ein himmlisches Bilderzeugnis, irgendwann mit irgendeinem Auto den Weg alles Irdischen ging.

In unserer Verzweiflung über die Autos, die es noch nicht einmal schafften, ohne Warnblinklicht von einer Autobahn herunterzukommen, beschlossen meine Geschwister und ich, wenn schon nicht dick, so wenigstens für gezählte Tage in unserer Jugend leicht pummelig zu werden. Dann nämlich würden wir einfach nicht mehr zu viert auf die Rückbank dieser Verbrecher-Karossen passen.

Wir hätten auch lange Beine kriegen können, doch das schien schwieriger. Und pummelig werden hieß, das Leckere mit den Nützlichen zu verbinden. Jahre später, als es daran ging, den Speck wieder loszuwerden, fanden wir diese Idee übrigens gar nicht mehr so pfiffig!

Der Bulli kommt vor's Haus

Es kam der Tag der Wahrheit. Wir seien jetzt zu groß für ein normales Auto, hieß es. Da wir noch nie ein normales Auto besessen hatten, machten wir uns keine Gedanken darüber, was das wohl bedeuten könne. Bis eines Tages ein sehnervenzerstörend orangefarbener VW-Bulli vor unserer Garagentür stand.

An sich, das muss ich zugeben, ist so ein Fahrzeug eine praktische Anschaffung. Wir befanden uns allerdings in einem Alter, da uns weniger die praktische als vielmehr die ästhetische Seite von Fahrzeugen beschäftigte. Dennoch, meine erste freie Fahrt, zwei Stunden, nachdem ich meinen Führerschein erhalten hatte, machte ich in exakt diesem Wagen. Mein Vater, der meinte, mich begleiten zu müssen, trug für diese Jungfernfahrt seinen blauen Schutzhelm, worüber ich erst Jahre später lächeln konnte. Dafür war ich nach einiger Eingewöhnung die Mega-Einparkerin, die es auch mit einem mittelgroßen Schiff geschafft hätte, in jede Parklücke hineinzukommen.

Die wirklich praktische Seite des Bullis zeigte sich aber erst in dem Moment, als all unsere Freunde entdeckten, dass man erstens zu neunt in diesen Wagen hineinpasst und zweitens dann auf jeden Fall einer von uns von Party zu Party oder von Kneipe zu Kneipe fahren musste. Das bedeutete auch, dass acht Leute höllischen Spaß hatten und nur einer - meist ich - der Verkehrpolizei geduldig zu erklären hatte, dass der Wagen nur deshalb entsetzlich nach Alkohol stinke, weil man nüchtern eine völlig besoffene Mannschaft durch die Gegend kutschiere.

Der Gerechtigkeit halber muss ich allerdings darauf hinweisen, dass ein orangener VW-Bulli richtig Freude bereitet, wenn man ihn durch Südafrika fährt, wo es weder orangene Autos noch Linkslenker noch Privatfahrzeuge gibt, die Diesel tanken.

Ich bin allen Ernstes einmal über eine zweihundert Kilometer lange Strecke von bewaffneten Grenzschützern durch die südafrikanische Transkei geleitet worden. Nicht, um den Wagen oder gar mich zu schützen oder zu bewachen, sondern weil die Grenzer mir ohne praktischen Beweis nicht glauben wollten, dass ein Privatwagen auch mit Dieselkraftstoff von A nach B fahren kann.

Als Intermezzo gab's den Panda

Ein Jahr nach meinem Führerschein-Erwerb kam der Kleinwagen ins Haus. Der war so klein, dass man ihn auch hätte mit reinnehmen können. Doch in der ländlichen Gegend, in der ich aufwuchs, tat er seinen Zweck.

Ich bin diesen Wagen jahrelang gefahren, möchte mich aber nicht dazu äußern, dass man zum Kupplungs-Wechseln dieses Auto fast in seine Einzelteile zerlegen muss, um an die entsprechenden Stellen zu kommen. Freunde, in deren Werkstatt ich mich immer selber um Kleinstreparaturen kümmern musste, wollten zeitweilig ein Schild aufstellen, dass das Befahren des Geländes für englische und italienische Fabrikate nicht gestattet sei.

Eigens gekauft, lange bereut: der Kadett

Irgendwann musste es aber sein. Ich wollte mir selber mal ein Auto kaufen. Nach einer ausgesprochen kurzen Liaison mit einem blau-gerollten D-Kadett Kombi zog der froschfotzengrüne D-Kadett "Coupe" in mein Leben. Dieses Auto brachte mir den Ruf ein, dass man sich wohl auf mich verlassen konnte, nicht aber auf mein Auto. Es fuhr zwar auch von A nach B, nur entschied es immer selber, wo B zu liegen habe.

B war immer in der Pampa. Zwischen zwei Dörfern, deren Namen nicht in Landkarten verzeichnet sind. Die abgeschnitten sind von telekommunikativer Technik. Die wahrscheinlich gar nicht von dieser Welt sind. Anders kann ich mir nicht erklären, warum die Karre immer im Nirgendwo stehenblieb, mit rauchendem Kühler meist. Alsbald hatte ich immer eine Eisensäge und diverses andere Werkzeug bei mir, um die ständig platzenden Kühlerschläuche jeweils über den Schellen ein Stückchen abzusägen und wieder festzuschrauben.

Natürlich lag das Problem an anderer Stelle, doch x Reparaturen brachten mich und mein Auto der Lösung nicht näher. Ein halbes Jahr, nachdem ich bei minus zehn Grad die eingefrorene Benzinpumpe ausgebaut hatte (»Nein«, sei an dieser Stelle ein Werkstattleiter zitiert, »es kann überhaupt nicht sein, dass Wasser im Tank ist.«), trennte ich mich von meinem froschfotzengrünen Kadett.

Traurige Bilanz dieser Beziehung: zwei Zylinderkopfdichtungen, zwei Zylinderköpfe (!), ein kompletter Motorblock mit Haarriss, ein durchgeschmortes Zündkontaktteil (Frage an den Beifahrer: »Sag mal, findest du nicht auch, dass es hier irgendwie angebrannt riecht?« Antwort des Beifahrers: »Sag mal, siehst du auch diese feine Rauchsäule am Lenkrad?«), ein durchgeschmorter Sicherungskasten und ein Kühler inklusive Ventilator (damit ich ihn nicht immer auf Dauerstrom an die Batterie hängen musste) nebst diverser anderer »Verschleißteile«. Was soll man dazu sagen?

Der Mazda - und Tschüss

Jetzt musste also wirklich ein vernünftiges Auto her, dachte ich bei mir, und war sogar bereit, mehr als eine dreistellige Summe für ein Fahrzeug auszugeben. Dabei griff ich relativ preiswert einen einmal vor ein Verkehrsschild gesetzten Mazda MX 5 ab, ein kleines rotes Sportcabrio, in dem ich - weil Zweisitzer - weder viele Menschen mitnehmen musste, noch irgendwo auf freier Strecke stehen blieb.

Nichts im Leben aber kommt ohne Probleme daher. Der Wagen nämlich fährt, und ich werde auch heiß beneidet um dieses schicke Stück mobiler Freiheit. Nur ist es leider so, dass ich inzwischen nicht mehr mit dem Auto durch die Gegend fahre, weil aus mir eine ekelhaft überzeugte Bahncard- und BVG-Jahrespremium-Abo-Besitzerin geworden ist. Jeden Winter wieder nehme ich mir vor, mich endgültig, ein für alle Mal, von meinem letzten vierrädrigen Begleiter zu trennen.

Dabei hätte alles anders kommen können, wenn, ja wenn nur meine Eltern etwas Anständiges zum Fahren gehabt hätten. Oder, um es ehrlicherweise zuzugeben, wenn es den weißen Ford Turnier noch geben würde, der heute nämlich so etwas wie Kultstatus besitzen würde. Und Kult muss ja nicht unbedingt fahren.

 

 
 
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